Handelsvertreter im Einzelhandel

Die Praxis ist verbreitet: ganze Handelsketten machen seit den neunziger Jahren Teile ihrer Belegschaft kurzerhand von Arbeitnehmern zu Selbständigen.

Wer beispielsweise früher angestellter Filialleiter war, übt heute vielfach an gleicher Stelle, mit den gleichen Vorgesetzten und mit in der Praxis gleichen Pflichten die gleiche Tätigkeit für das gleiche Unternehmen aus – nur dass er heute nach dem neu abgeschlossenen Vertrag als selbständiger Kaufmann gilt. Auf diese Weise ist heutzutage so manche frühere Backwarenverkäuferin, Textilverkäuferin oder Fachverkäuferin in einem Erotikgeschäft scheinbar freie Unternehmerin.

Das gleiche gibt es bei Kraftfahrern. Heute sind zunehmend viele LKW-Fahrer nicht mehr Arbeitnehmer, sondern auf dem Papier selbständige Unternehmer, obwohl ihnen nicht einmal der Lkw gehört, mit dem sie auch heute noch Ware für ihren früheren Arbeitgeber ausfahren. Die Umwandlung von Arbeitnehmern zu Selbständigen gibt es bei Pizzabäckern, im Weinhandel und wo immer aus Geschäftsideen organisierte Laden- und Unternehmensketten werden.

Auf Neudeutsch heißt die Praxis Outsourcing. Ihre Funktion ist es aus Sicht der Unternehmen, die bisherige Arbeitsverhältnisse auslagern, Kosten zu sparen, insbesondere Sozialversicherungsbeiträge, und unternehmerische Risiken auf die ehemaligen Arbeitnehmer zu verlagern.

Im Einzelhandel wird aus dem angestellten Verkäufer dann zumeist ein selbständiger Handelsvertreter gemacht.

Es wird ein neuer Vertrag abgeschlossen, der die Überschrift „Handelsvertretervertrag“ trägt und eine Vielzahl von Vorschriften enthält. Die Vorschriften sehen für  den Handelsvertreter, dessen Tätigkeit nach wie vor darin besteht, dass er im Laden steht und z.B. Brot verkauft, jede Menge unternehmerische Freiheiten, Risiken und Kostenbeteiligungen vor. Das muss so sein, denn sonst wäre das Vertragsverhältnis schon auf dem Papier kein Vertragsverhältnis unter selbständigen Kaufleuten, wie es das aus Sicht des Unternehmens sein soll.

Der bisherige Verkäufer stimmt dem Vorschlag seines Arbeitgebers meist zu, er hat auch keine wirkliche Alternative. Es ist für den Arbeitgeber nicht besonders schwer, dem Arbeitnehmer klarzumachen, dass er es zwar bedauern würde, dass ihm aber keine andere Möglichkeit bliebe, als ihm zu kündigen, wenn er die Chance, sich selbständig zu machen, ausschlagen würde.

Vorteile hat das Outsourcing für den bisherigen Arbeitnehmer zumeist nicht. Fortan gelten für ihn keine geregelten Arbeitszeiten mehr, bei Urlaub und Krankheit muss er selbst für seine Vertretung sorgen und sie bezahlen. Für seine Altersversorgung muss er zukünftig allein aufkommen. Er muß die Ladenöffnungszeiten abdecken und infolgedessen zumeist wesentlich mehr Stunden pro Woche arbeiten als zuvor. Er trägt das Kassen- und das Warenverlustrisiko mit und haftet dem Unternehmen bei Diebstählen etc. Nach Abzug der Kosten, die ihm durch den Vertrag als Handelsvertreter aufgebürdet werden, bleibt ihm häufig nicht einmal ein Einkommen, das,  auf die zu leistenden Stunden umgerechnet und unter Berücksichtigung der übernommenen Risiken, besser wäre als zu Zeiten, in denen er noch Angestellter war.

Und auch sonst sieht die Praxis sehr häufig ganz anders aus als es auf dem Papier des Vertrages steht: Nach wie vor gehört der Laden dem Unternehmen. Dieses richtet den Laden ein und stellt das Sortiment. Der zum Handelsvertreter beförderte Filialleiter darf zwar das Aushilfspersonal einstellen, bezahlen und das Lohnrisiko, z.B. bei Erkrankungen, tragen. Wie das Personal sich zu kleiden und zu verhalten hat, wie die Kundschaft zu beraten ist, wer mit welchen Mitteln Werbung treiben darf, wann und wie lange der Laden geöffnet sein muss etc. bestimmt in der Praxis indes nach wie vor das Unternehmen. Es gibt zu diesem Zweck häufig umfangreiche „Betreiberhandbücher“, „Empfehlungen für den Betrieb des Geschäfts“ oder dergleichen. Die als „Empfehlungen“ formulierten Hinweise stellen in der Praxis zumeist klare Handlungsanweisungen dar, deren strikte Beachtung und Einhaltung erwartet und auch kontrolliert wird. Zu diesem Zweck gibt es Vertriebsmitarbeiter des Unternehmens, die in mehr oder weniger kurzen Zeitabständen die Filialen aufsuchen, zumeist mit langen Checklisten, und die Einhaltung der vom Unternehmen „empfohlenen“ Vorschriften überprüfen, bewerten und Abweichungen bestrafen. In manchen Handelsketten gibt es hochdifferenzierte Bewertungssysteme, die zu Prämien bzw. Provisionsabzügen führen, und zur unternehmensweiten Veröffentlichung von Ranglisten und „guten“ sowie „schlechten“ Filialen und Vertretern.

Die Probleme, die die akzeptierte, weitgehend aber nur auf dem Papier stehende Selbständigkeit mit sich bringt, stellen sich für den oder die betroffene Handelsvertreterin stets erst im nachhinein heraus.

Dazu, wie Sie mit diesen Problemen umgehen können, geben wir einige Hinweise unter den Stichpunkten